Die Studien Picassos zu Guernica
Vortrag
Referent
Gerhard Menger, Kempten
Anmerkungen zur Entstehungsgeschichte:
Das Kunsthaus Villa Jauss in Oberstdorf besitzt eine Faksimile-Sammlung der Skizzen und Studien, die Picasso während der Entstehungsphase von Guernica und bei der darauf folgenden Weiterverarbeitung des Themas angefertigt hat.
Es ist immer etwas problematisch, Kunstwerke anhand von Reproduktionen zu betrachten. Dort, wo es möglich ist, versucht man das Originalformat in der Reproduktion einzuhalten; so wie dies auch bei den Guernica-Drucken der Villa Jauss der Fall ist. Sie geben durch ihre identische Größe und Farbgenauigkeit viel von der originalen Wirkung wieder, mehr, als übliche Reproduktionen z.B. in Büchern leisten können und gewähren somit einen aufschlussreichen Einblick in das künstlerische Ringen Picassos während der Gestaltung seines wohl berühmtesten und wichtigsten Werkes.
Schwieriger wird dies beim ausgeführten Bild, das sich schon wegen seiner beachtlichen Breite von fast acht Metern jeglicher technischen Wiedergabe entzieht. Man muss sich also bei der Betrachtung bewusst sein, dass eine im Größenverhältnis nicht originale Wiedergabe in großem Maße den tatsächlichen Eindruck des Kunstwerkes verzerrt und zu einer starken Verunklärung führen kann. Zudem gehen auf Grund technischer Manipulationen viele ursprüngliche Wesensmerkmale verloren, das Einmalige, das Materielle, das Hier und Jetzt, die Aura eines Bildes.
Ein großes Kunstwerk lässt Raum für unendlich viele Interpretationen. Dies gilt in besonderer Weise auch für Guernica. Picasso selbst hat sich nie - weder schriftlich noch mündlich - zur Deutung des Bildes geäußert. Die Entwürfe, die der Künstler in den gut fünf Wochen ihrer Entstehungszeit - vom 1. Mai bis zum 4. Juni 1937- angefertigt hat, geben wichtige Hinweise über sein Denken und Fühlen beim Schaffensprozess.
Beim Versuch, das Rätsel Guernicas zu entschlüsseln, bediene ich mich auch eines bekannten Werkes von Peter Paul Rubens mit dem Titel „Die Folgen des Krieges“(1638), das sich heute im Museum Palazzo Pitti in Florenz befindet.
Beide Bilder beschäftigen sich mit dem Thema Krieg, zwischen den Werken besteht – wie zu sehen sein wird - eine geheimnisvolle Beziehung. Bei genauerer Betrachtung weisen sie sowohl im Sujet als auch in der Form überraschende Ähnlichkeiten auf, wenngleich die beiden Künstler in der Bewertung des Phänomens Krieg grundverschieden und sogar gegensätzlich sind. Ein Vergleich bietet sich also an. Guernica, so glaube ich nachweisen zu können, ist gleichsam eine „Permutation“ des Rubensbildes.
Die beiden Werke verhalten sich bei einer ersten Betrachtung wie Bild und Spiegelbild zueinander. Bei näherem Hinsehen werden wir dann aber feststellen, dass sie - wie der doppelgesichtige Janus in Rubens´ Bild - zwei Seiten ein und derselben Sache repräsentieren.
Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Kompositionen sowie Szenerien mit ihren jeweiligen Darstellern erschließt die neue Sehweise Picassos besonders deutlich. Der Raum verändert sich in seiner kubistischen Anordnung zu einer unentrinnbaren Gleichzeitigkeit von Drinnen und Draußen. Täter und Opfer verwandeln sich von der mythologischen Überhöhung bei Rubens zur expressiven Direktheit bei Picasso:
Janus, Europa, Venus, Mars, Furie, Alekto, Harmonia begegnen uns in Guernica als trivialisierte Figuren, als zerbrochener Soldat und leidende Frauen. Nur Pferd und Stier als Repräsentanten der spanischen Identität transportieren das gewöhnliche und singuläre Schicksal der baskischen Stadt Guernica wieder auf eine allgemeine Ebene.